Südliches Blut

Da Freya im Tal zu tun hatte, trat sie auch gleich den Weg zu Charis‘ Kate an. Sie war in eine weiche Ledertunika und Stiefel gekleidet, da sie sich zuvor im Schwertkampf geübt hatte und sehr zum Leidwesen ihrer sie begleitenden Wachen durch das Dickicht des Waldes gestreift war. Charis hatte am Vorabend um ein Gespräch gebeten und sie selbst dachte ebenfalls, dass es gut wäre, miteinander zu sprechen. Wenn Charis weiterhin so scharf auf Eleah Forresters Spitzen reagieren würde, könnte sie sich gleich ein Banner vorhertragen lassen, auf dem stand: Ich bin aus einem größeren Haus als du! Ich muss mir das nicht gefallen lassen. Freya lächelte, aber grimmig. Sie sah auch schon gleich zwei Personen, die dieses Banner vor sich und ihr hertrugen: Charis‘ adelige dornische Zofe, die in ihren leuchtend gelben Kleidern im Grün, Grau und Braun der Bäreninsel ohnehin schon so herausstach wie ein Dotter in einer Wiesenkräutersoße, und ihren Ritter, der jedes Mal aufsprang, wenn sie näher kam, vor ihrer Kate Tag und Nacht Wache hielt und mit seinen violetten Augen immer misstrauisch die Umgebung sondierte. Mit einem Seufzen näherte sie sich der Kate in der Hoffnung, Charis alleine anzutreffen.

Zu Freyas Enttäuschung traf sie Charis nicht alleine, sondern in Begleitung von Quentyn Dayne an.
Zu Freyas Enttäuschung traf sie Charis nicht alleine, sondern in Begleitung von Quentyn Dayne an.

Diese Hoffnung wurde jedoch enttäuscht. Freya fand Charis, die ein seidenes türkises Kleid trug, vor ihrer Kate im Gespräch mit Quentyn Dayne. Dieser warf Freya sofort einen misstrauischen Blick zu und verschränkte die Arme vor der Brust, als sie näher trat. Freya nickt ihm höflich zu und erwiderte den Blick nicht minder kühl, grüßte dann Charis, die sehr erfreut reagierte. „Möchtest du Tee trinken, Freya?“ fragte sie sogleich. Freya lehnte dankend ab, da sie zum Abendmahl wieder auf der Burg sein wollte. Nach ein paar belanglosen Freundlichkeiten bat Freya Charis, wieder mehr daran zu denken, was man in der Ansiedlung über sie sprach. Auch konnte es nicht hilfreich sein, wenn Lady Eleah sich möglicherweise in Zukunft auch öffentlich negativ über sie äußern würde, da die beiden sich offenbar ständig in die Haare kriegten. Freya schilderte ihr Empfinden, dass scheinbar immer wieder ein Wort das andere gab und dass so ein vielleicht grundsätzlich kühles Verhältnis zu einem explosiven werden könnte, was in Anbetracht von Charis‘ Lage nicht ideal wäre. Daraufhin mischte sich Ser Quentyn ein, der einerseits Charis‘ Temperament verteidigte und das unangemessene Verhalten bei Eleah Forrester fand, und andererseits sie, Freya, maßregeln wollte, sie möge nicht vergessen, mit wem sie sprach. Freya war, als hörte sie nicht recht. Was bildete sich dieser Neuankömmling überhaupt ein? Blitzenden Auges entgegnete sie ihm, dass er erst einmal all das für Charis tun sollte, was sie schon getan hatte, und dass er sich nicht anmaßen sollte, über so etwas wie natürliche Rangordnung zu sprechen. Er, da er hier als Beschützer Charis‘ anwesend war, verstieß wohl offensichtlich selbst gewaltig gegen solche Vorgaben. Ob es das gewesen war oder etwas anderes, wusste sie nicht, auf jeden Fall schwieg er.

Ser Quentyn Dayne schien von Charis eine bestimmte Art zu handeln zu erwarten, auch wenn er ihr gehorsam diente.
Ser Quentyn Dayne schien von Charis eine bestimmte Art zu handeln zu erwarten, auch wenn er ihr gehorsam diente.

Charis allerdings hatte sich von ihm anstacheln lassen. Sie meinte, nur der Lord der Insel habe das Recht, eine Antwort auf mögliche Fragen zu fordern, alle anderen nicht. Als Charis ihr dann entgegenwarf, dass ihr hier alle die Flügel stutzen wollten, reagierte Freya empört und war kurz vor einem Ausbruch ihres Starkschen Temperaments. Sie erinnerte sie eindringlich an die ersten Gespräche, die sie geführt hatten, in denen Charis noch völlig anders argumentiert und reagiert hatte. Und obwohl Freya sie mittlerweile gut kannte und ahnte, dass Charis sich von Quentyn Dayne auch gedrängt fühlte, kostete es viel Überredungskunst und Anstrengung, ihre Freundin davon zu überzeugen, dass erst einmal ein Gespräch mit Lord Mormont sinnvoll sei, bevor sie irgend etwas plante. In diesem Moment nahm sie hinter sich eine Bewegung wahr und als sie sich umdrehte, erkannte sie Ser Robin, der offenbar auch den Weg zu Charis‘ Haus genommen hatte. Er grüßte wie immer höflich und danach beäugten sich die beiden Ritter skeptisch. Als Charis ihn zum Bleiben aufforderte und meinte, ja, es wäre gut, gemeinsam mit Freya und Ser Quentyn das Gespräch mit Lord Mormont zu suchen, erblasste dieser nicht wenig und blickte völlig entsetzt zwischen allen dreien hin und her. Freya war leicht belustigt, verkniff sich aber eine Bemerkung. Charis erklärte ihm rasch und munter, dass Robin Mormont, Hauptmann der Wache, eingeweiht war. „Ich weiß nichts und es interessiert mich auch nicht, solange es nicht die Sicherheit der Insel betrifft“, erklärte dieser mit einem leichten Lächeln, woraufhin Ser Quentyn anerkennend nickte: „Eine lobenswerte Einstellung. Ich teile sie.“

„Guten Abend, Lady Freya, Lady Vikary … Ser …“ begrüßte Ser Robin sie, als er näher trat.

Einige Zeit sprachen sie über Pflicht und Aufgaben, über die nächsten Schritte und das hoffentlich baldige Gespräch mit Lord Mormont. Lange dauerte das Gespräch jedoch nicht mehr, denn Charis kündigte an, dass sie müde wurde. Man verabschiedete sich voneinander und Ser Robin begleitete Freya zur Burg …

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