Wenn der Wolf zum Kraken geht …

Man war in den Privatgemächern Lord Mormonts zusammen gekommen, da Charis um eine Audienz gebeten hatte, bei der auch Freya und Ser Quentyn anwesend sein sollten. So hatte eine Magd Freya auf dem Übungsplatz angetroffen und ihr die Nachricht überbracht, dass der Lord sie so rasch wie möglich bei sich erwartete. An diesem Tag würde es wohl kaum zu einem ausgedehnten Schwertkampf-Training kommen, hatte man doch gerade erst begonnen. Freya entschuldigte sich bei ihren Übungspartnern und folgte der Magd in die Burg.

Jared Mormont wartete, bis alle etwas zu trinken und die Bediensteten den Raum verlassen hatten, richtete sich dann in seinem Sessel auf und schaute Charis an: „Nun, Lady Charis, mir scheint der Wunsch nach einem Gespräch war dringlich. Ich bin gespannt, was Ihr berichten werdet.“ Die Angesprochene atmete tief durch, dankte Lord Mormont für die Zeit und meinte, dass es durch das vermehrt aufflammende Gerede „und das Problem mit den Forresters notwendig geworden sei, wieder einmal das gemeinsame Vorgehen zu beratschlagen.“ Freya lehnte sich etwas zurück, zog sich die Lederhandschuhe aus und legte sie gefaltet neben sich auf den Stuhl. Ihr Blick ruhte zuerst auf Charis, dann Ser Quentyn, der ruhig den Raum betrachtete, und danach auf Lord Mormont. Sie war gespannt, ob es etwas Neues gab, oder ob Charis und Lady Eleah sich einfach wieder einmal uneins gewesen waren.

Charis hatte Lord Mormont um ein Gespräch gebeten, Freya war neugierig, ob sich in der Zwischenzeit etwas Neues ereignet hatte.
Charis hatte Lord Mormont um ein Gespräch gebeten, Freya war neugierig, ob sich in der Zwischenzeit etwas Neues ereignet hatte.

Lord Mormont runzelte die Stirn und fragte nach, welcher Art die neuerlichen Schwierigkeiten wären, und ob diese hier auf der Bäreninsel oder auch aus Charis‘ Heimat kämen. Dabei blickte er auch zu Quentyn Dayne, der den Lord wohl verblüffte, da er antwortete: „Ich rechne mit einem Angriff. Ich denke, der König wird bald herausgefunden haben, dass … Lady Charis hier ist. Es ist nicht gerade ein Geheimnis auf der Insel, abgesehen von ihr wissen noch fünf andere davon… Es wird früher oder später heraus kommen.“ Charis und der Lord stellten einige kleinere Fragen, die Antworten des dornischen Ritters schienen ihnen allerdings nicht zu gefallen und Charis sah so aus, als ob sie innerlich immer angespannter würde. Freya blickte zwischen den Anwesenden hin und her. Sie kaute etwas an ihrer Unterlippe, runzelte die Stirn. Dann meinte sie mit etwas monotoner Stimme: „Nun, wenn der König tatsächlich weiß, dass Charis noch am Leben ist, dann ist weder Lady Vikary, noch die Bäreninsel sicher … so wie es jetzt ist. Dann müsste ein neues Versteck her … und die Hoffnung, dass noch nicht bekannt war, dass sie hier war … ist.“

Wie sicher war Charis auf der Bäreninsel? Und wie sicher war die Bäreninsel?
Wie sicher war Charis auf der Bäreninsel? Und wie sicher war die Bäreninsel?

Lord Mormont nickte nachdenklich, meinte aber, dass Charis‘ Geheimnis wohl an jedem Ort in Gefahr wäre. Allein Ser Quentyn schien ihr vorbehaltlos zuzustimmen, er schlug sogleich vor, Charis nach Braavos zu bringen oder sogar noch weiter, nach Mereen, Astapor, Lys oder Norvos. Charis jedoch reagierte erzürnt auf den Vorschlag ihres Ritters und verlangte von ihm, in Gegenwart Freyas und Jared Mormonts die Worte von Naerys zu wiederholen, die ihn ja auf die Bäreninsel geschickt hatte. Freya musterte sie: Sie erwartete sich wohl genauere Hinweise darüber, was die Hintergründe für so einen Auftrag gewesen waren. Zu Freyas Verwunderung antwortete Ser Quentyn sofort und ohne zu zögern, obwohl er sonst eher vermied, in der Gegenwart von anderen über seinen Auftrag, Naerys oder seine Meinung zu der politischen Situation im Süden zu sprechen. Allerdings war sein Bericht nicht weiter aufschlussreich, da der Auftrag keine Details enthielt, vor allem nicht darüber, was zu tun wäre, wenn er Charis gefunden hätte. Offenbar war diese Naerys entweder äußerst vorsichtig oder der Ritter log – was Freya jedoch ausschloss. Diese Meinung festige sich, als Quentyn Dayne fortfuhr, er habe das Schwert „Dawn“ in die Obhut seines Hauses zurückgegeben, bevor er nach Norden aufbrach. Interessiert musterte sie ihn. Sie hatte in den Aufzeichnungen des Maesters über das Schwert nachgelesen: Dawn war die Klinge, die seit Generationen im Haus Dayne gehütet wurde, sein Träger führte den Namen „Schwert des Morgens“. Besonders an dieser Tradition war, dass das Schwert nicht automatisch an den regierenden Lord überging, sondern immer nur an jemanden ging, wenn ein würdiger Träger innerhalb des Hauses gefunden wurde.

Was war der genaue Auftrag, den Ser Quentyn erhalten hatte?
Was war der genaue Auftrag, den Ser Quentyn erhalten hatte?

Freya dachte, dass Charis sich dieser Tatsache wohl vielleicht nicht bewusst war, dass sie aber zornig zu werden schien und den Ritter mit etwas gepresster Stimme darauf hinwies, dass sein Handeln, dass er sie von der Insel wegbringen wolle, etwas mit Naerys‘ Auftrag zu tun habe. Bald begann die Stimmung, noch mehr hoch zu kochen. Es wurde darüber gesprochen, ob man nicht mehr über die Lage im Süden in Erfahrung bringen müsste – durch eine Botschaft an Naerys -, bevor man konkrete Pläne schmiedete. Als Ser Quentyn Charis‘ vorschlug, sie könnte dem Glauben beitreten, um sich vielleicht vor dem Zorn des Königs schützen zu können, reagierte diese aufgebracht und mit nicht mehr unterdrücktem Zorn: „Ser Quentyn, Ihr müsst Euch langsam entscheiden, wem Ihr dienen wollt! Ich habe nicht vor, gegen den Thron zu rebellieren. Ich bin nicht die, die den Frieden gestört hat!“ Bevor jemand darauf reagieren konnte, hörte man ein heftiges Pochen an der Tür und Ser Robins Stimme, der wohl nicht vorhatte, auf eine Antwort zu warten, sondern sofort das Gemach Lord Mormonts betrat. Da er sonst nie seine tadellosen Manieren vergaß, waren alle Blicke sofort auf ihn gerichtet, als er auf den Lord zuging und ihm eine Papierrolle reichte, die ihm offenbar der Maester in heller Aufregung übergeben hatte.

Ser Robin hatte eine dringende Botschaft für Lord Mormont vom Maester überreicht bekommen.
Ser Robin hatte eine dringende Botschaft für Lord Mormont vom Maester überreicht bekommen.

Jared Mormont nickte und nahm die Rolle aus seiner Hand, erkannte das Symbol von Haus Stark auf der Nachricht und begann zu lesen. Alle beobachteten ihn aufmerksam, während er die Zeilen leise für sich las. Sodann hob er den Kopf, er war ersichtlich, dass mit jedem Wort, das er las, sein Zorn größer wurde und schlussendlich krachte seine Faust hart auf die Tischplatte. Funkelnden Auges schüttelte er fassungslos den Kopf und rief mit donnernder Stimme aus: „Hat der Alte den Verstand verloren?“ Unter den wachsamen Augen aller kneteten seine Finger die eigenen Hände, seine Kieferknochen mahlten, sein Blick war nun kurz entrückt in der Ferne und er murmelte: „Nun wird das Bild als solches langsam erkennbar….“ Er blickte auf. Entrollte das Schriftstück ein zweites Mal und begann mit leiser Stimme vorzulesen.

Was war der Inhalt der Botschaft? Lord Mormont zumindest schien erschüttert und erzürnt.
Was war der Inhalt der Botschaft? Lord Mormont zumindest schien erschüttert und erzürnt.

Ungläubig lauschte Freya den Worten. Damien Stark verlangte, dass Lord Mormont sein Mündel, also sie, so rasch wie möglich nach Winterfell entsenden sollte, weil eine Vermählung mit dem Erstgeborenen eines der Großen Häuser arrangiert worden sei. Für einen kurzen Moment entspannte sich Freya, denn obwohl sie keinesfalls begeistert war, verheiratet zu werden, wusste sie doch, dass sie über kurz oder lang eine politische Verbindung würde eingehen müssen. Damon Lannister war der einzige Erbe eines Großen Hauses, der gewissermaßen eine Verbindung zum Norden hatte, und sie konnte sich weitaus Schlimmeres vorstellen. Doch als Lord Mormont weiter las und Vallryon Graufreud als den Ehegatten nannte, der nicht nur ein Feind des Nordens sondern auch für seine Grausamkeit bekannt und berüchtigt war, fuhr sie wie von einer Spinne gestochen auf. „Was?!“ Ihr Gesicht hatte alle Farbe verloren, sie hatte für den Moment keine weiteren Worte.

„Nie und nimmer wird dieser Wüstling dich bekommen, Freya!“

Doch sie war nicht die Einzige, die entsetzt reagierte. Ser Robin knurrte grimmig: „Nie und nimmer! Und schon gar nicht an diesen Schlächter und Mörder. Wie kommt Lord Stark nur auf so eine Idee?“, Charis blickte mitfühlend zu Freya. „Eindeutig Schwäche. Er will versuchen, den Frieden durch eine Heirat zu erzielen.“ Robin Mormont schüttelte den Kopf, zornig blickend: „Nie und nimmer würden sich Eisenmänner davon abhalten lassen weiter zu plündern. Und schon gar nicht einer wie Valleryon … einer der schon zweifacher Witwer ist in jungen Jahren.“ Lord Mormont nickte zu Ser Robins Worten, sein Blick ruhte jedoch auf Freya. „Ganz sicher gehst du nirgendwo hin. Nunmehr scheint klar, wer einen Narren an dir gefressen hat und mit wessen Unterstützung er versucht, sich deiner zu bemächtigen … Lord Stark wünscht ein Zeichen der Verbundenheit …“ Seine Stimme wurde leiser und gefährlich klingend. „Vielleicht wird er nicht damit rechnen, wie dieses Zeichen aussehen wird …“ Freya war aufgesprungen und lief einige Schritte auf und ab, ihre Gedanken rasten. Was meinte er mit: einen Narren an ihr gefressen? Das machte keinen Sinn … die Eisenmänner, die zweimal versucht hatten, ihrer habhaft zu werden … konnten sie tatsächlich im Auftrag eines Graufreuds gehandelt haben? Jene Eisenmänner, die eine geheime Karte der Burg bei sich trugen, die Lord Mormont nur Damien Stark gezeigt hatte? Wenn das stimmte, so hatte sich Damien Stark nicht nur des Sitzes von Winterfell bemächtigt, sondern auch mit den eingeschworenen Feinden des Nordens paktiert! Wie durch einen Vorhang aus Nebel hörte sie Ser Robins Worte, mit denen er Lord Mormont bekräftigte, er würde in jedem Fall bei ihm stehen, was auch immer der Befehl sei.“

„Ich muss dringend mit Euch sprechen … Lady Charis. Würdet Ihr mir kurz vor die Tür folgen?“

Charis trat auf die plötzliche und dringliche Bitte Ser Quentyn mit diesem gemeinsam vor die Tür des Gemachs, wo er sie bestimmt drängte, die Insel so bald wie möglich zu verlassen. Freya konnte ihn verstehen, sie hätte an seiner Stelle wohl auch so gehandelt. Langsam wurden ihre Gedanken wieder klarer und sie begann, die Worte ihres Vormunds zu begreifen, als dieser zu ihr trat und seine Hand sanft auf ihre Schulter legte: „Ich versichere dir, meine liebe Freya, dass so lange auch nur ein Tropfen Blut in meinen Adern fließt, ich mich zwischen dich und diese Verbindung stellen werde … Wenn die Lords des Nordens hiervon erfahren … die Treue wird Risse zeigen. Nicht viele Häuser werden an dieser Stelle Lord Stark folgen wollen. Wenn es nun jemanden gibt – stark genug um eine Alternative darzustellen… integer und diplomatisch … kämpferisch und begeisternd … dann wird es eng für den Inhaber des Throns.“

„Wo ist der Stolz des Nordens, wenn der Inhaber des Sitzes mit unseren Feinden, den Eisenmännern, heimliche Bündnisse schließt?“

Freya ließ die Worte sickern, sie suchte den Blick Ser Robins, erinnerte sich an das Gespräch, das sie vor einer Weile auf der sonnigen Bank hinter dem Wachturm gehalten hatten und meinte an seinen Augen zu erkennen, dass er die Erinnerung teilte. Sie verengte die Augen und sagte schließlich leise: „Winterfell wird immer von Haus Stark regiert werden. Doch die Lords des Nordens werden nicht so einfach glauben, was sich nun als Wahrheit herausstellt, Stück für Stück.“ Lord Mormont betrachtete sie mit sichtlichem Stolz, als sie zu Beiden sagte: „Ich war glücklich hier, und frei. Ich wollte nie nach Winterfell zurück, doch nun ist es etwas anderes. Es ist mein Haus. Ich bin eine Stark. Wir werden den Norden wieder vereinen, gemeinsam, ohne geheime Absprachen mit unseren Feinden, den Eisenmännern. Der Winter kommt … aber wir werden gemeinsam stehen.“ Robin Mormont verneigte sich vor ihr mit den Worten: „Lady Stark, zu Euren Diensten. Nach dem Motto des Hauses: Hier stehen wir!“

„Freya, du hast mir beigestanden, als ich Hilfe brauchte; nun werde auch ich dir beistehen, wenn ich es kann!“ sagte Charis, als sie zurückkehrte.

Als Charis mit Ser Quentyn, dessen Gesicht eine Maske der Ausdruckslosigkeit war, wieder das Gemach betrat, blickte sie sich kurz um, trat auf Freya zu und sah sie an: „Ich weiß nicht genau, was ihr besprochen habt. Aber ich kann es mir denken. Du hast zu mir gestanden, als ich Hilfe gebraucht habe und ich werde dir ebenfalls beistehen, Freya, mit Feuer und Blut, wenn es sein muss. Bei meinem Namen …“

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